Dimitris Bibliothekskarte.

Kommentar von Flo Z. zu den Tagebucheinträgen vom 30. November 2028. Hintergrund und Erstelldatum der Quelle ist unbekannt. Sie scheint auf einer bearbeiteten Transkription einer Audioaufnahme eines Podiums zu basieren. Aus dem Anhang zu “Usufrukt in Ostermundigen. Kommunale bottom-up Pionierin neuer Eigentumsrechte”, Rajiavan, 2032, Zytglogge-Verlag.

Das war wohl unser erstes bewusstes Aufeinandertreffen. Am Samstag danach, bin ich Dimitri auf dem Weg zum Möbeltausch begegnet. (Dass er eigentlich woandershin unterwegs war, hat er mir erst Monate später verraten.)

Ich mag mich noch erinnern, ihm zu erklären, dass die Möbel zwar ohne zeitliche Befristung verleiht, aber eben nicht verschenkt werden. “Du darfst sie nutzen und davon profitieren solange du willst. Wenn du sie nicht mehr brauchst, bringst du sie zurück. Du hast einfach kein Recht darauf, sie zu zerstören.” “Aber wem gehört dann dieser Stuhl?”, hat er unglaubig gefragt. Etwas später sass ich dann in der Tee- und Spielecke und hab mit seinen Kids rumgeblödelt. Er kam ganz begeistert von der Toilette zurück. “Heisst das, wenn wir Grossvatis Haus ausmisten muss ich die Möbel weder mühsam einlagern, noch entsorgen oder mich von einer Person verarschen lassen, die dann ein Vermögen daraus schlägt? Ich bring den Familienschaft [Anm.: berndeutsch für Schrank] einfach zur Leihbar und kann ihn ausleihen, falls ich ihn brauche. Und falls nicht, kommt kein Brockiidioty, das ihn einfach schnappen und verbrennen kann. Er gehört sozusagen der Allgemeinheit und wird gut behandelt werden.” Ich liebte es, die Erleichtung von Personen beobachten zu können, wenn diese realisieren, dass eine elegante Lösung für all ihren Nicht-Ganz-Plunder besteht. “Mein Lieblingsbeispiel sind Bilder.”, habe ich amüsierte entgegnet. “Auch die besten Bilder werden irgendwann langweilig. Stell dir vor, du könntest jedes Mal, wenn du ein Zimmer neu einrichtest, auch gute Kunst dazu ausleihen kommen. Zum guten Leben für alle gehört mehr als Brot und ein Dach über dem Kopf.”

Niemals hätte ich damals geahnt, dass – in Ostermundigen eine krasse Kunstsammlung versteckt war, – diese Dimitris Grossvater gehörte, – dieser im Testament festhielt, dass die Sammlung an niemenschen vererbt werden solle – und Dimitris Mutter einer äusserst raffinierten Juristerei-Genossenschaft angehört.

Wenn ich die Geschichte der Institutionen, die wir gebaut haben erzähle; wenn ich erkläre, wie die Gemeinde Ostermundigen einen Rechtsstatus für Objekte geschaffen hat, die niemenschem gehören (eigentlich nur um einige der Bilder im Gemeindshaus aufhängen zu können), dann nenn ich das als die ersten Zutaten. Der Rest ist Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Zumindest haben Menschen vom QuartierEffort ziemlich schnell mal realisiert, dass das Usufrukt (anfangs nannten wirs noch “verallgemeinerte Nutzniessung”) auch auf anderes angewendet werden kann. Die gescheiterte Grundeinkommensinitiative, die Experimente mit erweiterter Lokaldemokratie und die Konföderation der Kollektive rund um den QuartierEffort haben sich plötzlich doch gelohnt.

Ich glaub wir können stolz sein, auf diese Institutionen. Die Logik der Bibliothek regelt inzwischen die allermeisten Aspekte des alltäglichen Lebens. Bedarfsorientiert, demokratisch gestemmt. Der GGTL (garantierter Grundbedarf fürs taugliche Leben) der Region wird laufend ausgeweitet, die Lokalwährung langsam obsolet, usw.

Am meisten freut mich, dass wir einen Weg eingeschlagen haben, der eine lebenswerte Zukunft trotz Krisen vorstellbar macht. Mit Ansätzen, die einem tiefen Respekt gegenüber Menschen und deren Ökosystem entspringen. Die allen, die realisiert haben, dass es einen grossen Wandel braucht, Instrumente an die Hand gibt – um diesen Wandel rasch, Schrit für Schritt und sympathisch über die Bühne zu bringen. Und allen, dies weniger interessiert, eine Bibliothekskarte in die Finger drückt.