Brief von Faba an Flo Z.

5.12.2028 Flo Danke für deinen Brief. Ich war ganz gerührt, als mir die Post-Person das glitzrig-farbige Cuvert mit den Scherenschnitten in die Hand drückte. Zum Glück war ich gerade zu Hause. Wie sehr ich die AP (andere Post) mag, die sich ihren Beruf gebastelt haben, bei dem Leute einerseits voll sportlich mit kreativen, meist selbst gebauten Tretgefährten überall unterwegs sind und dann bei der Übergabe eine kleine Performance vorführen. Gestern war da ein oldschool hadbang-wong [wong entspricht eine Art dem früheren Begriff Typ] mit einer moosigen Zottel-Frisur (echtes Moos!??). Es war wirklich erstaunlich und kunstvoll, wie er die geschwungen hat. Und sein Kehlkopf-Gesang. Hühnerhaut bekam ich von diesen dunkel-muffigen Erd-Geräuschen. Coole Briefmarke übrigens! Obwohl wir ja bei der AP die Briefe nicht mehr frankieren müssen, mag ich den Brauch, weiterhin schöne, kleine Bildchen zu gestalten und auf die Briefe zu kleben. Ich bin sehr erfreut zu lesen, dass ihr in O. so am Durchstarten seid. Voll spannend, das Konzept des garantierter Grundbedarf fürs taugliche Leben GGTL! Freue mich, mehr davon zu lesen. Gleichzeitig läuft es mir kalt den Rücken ab, welche Probleme ihr mit den Faschos habt! Immerhin melden sich so viele Leute zum Schneeschaufeln! Ich bin ganz inspiriert und versuche zu entdecken, was es so ähnliches bei uns gibt. Du weisst ja, dass wir hier etwas abgelegen leben. Und seit das Internet nicht mehr so zuverlässig funktioniert ist es schon anspruchsvoller geworden, mitzubekommen, was alles passiert. Letztens habe ich aufgeschnappt, dass sich so eine Art Neuigkeiten-Kurierkollektiv am Bilden ist, welches Informationen unter verschiedenen Gruppen, Kollektiven und Initiativen austauscht. Nimmt mich Wunder, wie sie das machen. Und zwar nicht in erster Linie, wie sie unterwegs sind (das kann ich mir AP Post-mässig ja jetzt irgendwie vorstellen). Sondern wie sie entscheiden, wer sich diesem Infozirkel anschliessen darf und wer nicht und welche Infos überbracht werden, sprich – wie sie entscheiden, was geteilt werden soll und woher die Infos kommen. Aber auf jeden Fall spannend – ich hoffe, wir wohnen nicht zu abseits, um dabei sein zu können. Bevor ich dir dann von der Eröffnungsveranstaltung für das Arten-Tandem-Projekt erzähle (endlich!!! Das ging ja auch ewig. Viel zu lange für meinen Geschmack. Aber was soll‘s. Gut Ding will Weile haben…) – noch eine gute Nachricht:
(nochmal eine Klammerbemerkung: heute ist voll der gute Laune Tag. Habe glaub eine Art rosa Gesellschafts-Brille auf. Alles erscheint grad so cool, spannend und hoffnungsvoll. Olé, darf – ja muss! auch manchmal sein. Ab all dem Brunz und Schlamasselkack, der täglich vor sich hin wabert – bitz wie der Faulgott (der sich dann als Flussgott entpuppt) aus diesem Ghibli-Film – wie heisst er nochmal? Ah, Chihiros Reise ins Zauberland – ist es eich ein Wunder, dass wir noch nicht alle ernsthaft wahnsinnig geworden sind. Obwohl es ja viele auch sind. Eich wäre das fast die „normalere“ Reaktion auf die Entsetzlichkeiten dieser Gesellschaft, oder? Eine Scheusslichkeit muss ich jetzt doch noch loswerden: Die Bauarbeiten für die Erweiterung des Flughafens um den Kampfjet-Park sind nun also soweit, dass sie einen Hügel hier in der Nähe am Abtragen sind. Ich bin sehr froh, dass es nicht gerade derjenige vis-a-vis ist, „nur“ der übernächste von hier. Aber ich höre die Monster-Maschinen. Und mein Herz brüllt. Ohne meine Noise cancelling Kopfhörer würde ich abdrehen. Wie dankbar ich um sie bin, wer weiss wie lange sie noch funktionieren und ob es später noch neue gibt. Ich höre auf.) Huh, also. Abgeschweift. Mir ist heute zu Ohren gekommen – ich sehe es als ein Indiz dafür, dass sich auch die Kleinstadt bewegt. (wie wäre es übrigens, wenn wir davon ausgingen, dass auch eine Ortschaft wie eine Stadt oder ein Quartier ein Wesen mit eigenem Charakter, Stoffwechsel, Begehrlichkeiten, Absichten wäre? Weisst du noch, wie du mir vor etwa fünf Jahren von dieser Person erzählt hast, die die Frage in den Raum gestellt hat: was müsste mit unserem Denken und unserem Gesellschafts- bzw. Rechtssystem geschehen, damit wir einen Stein in unsere Familie aufnehmen könnten? Das hat mich begleitet.) Ich versuche, meinen Schlenker abzuschliessen und wieder zurück zu kommen dahin, wo ich abgeschweift bin. Diese kleine Geschichte, die mir zu Ohren gekommen ist. Die Unverpackt-Laden-Community hat ihr Konzept scheinbar etwas umgekrempelt. Statt herzigen, kleinen, schmucken Lädelis an den besten Lagen in der Innenstadt mieten sie nun Lagerhallen in Industriegebieten. Machen da auch sowas wie unverpackt-Läden (auch mit so Bio-Öko-fair und holy shit stuff), aber mehr so im Aldi-Lidl-Style. Riesen Gebinde, top Logistik, wenig Leute, die da arbeiten, tiefe Mieten. Plötzlich hast du nicht in erster Linie (wenn natürlich auch trotzdem) hyperidealistische entweder Zeit- oder Geld-reiche Leute da. Sondern Leute von ziemlich unterschiedlichen gesellschaftlichen Kreisen, Rändern und Schichten. Ich hoffe, ich schaffe es bald mal dahin. Aber jetzt liegt grad mehr als ein Meter Schnee und wir sind unterdessen zu abseits, als dass da noch ein Service public Schneepflug vorbei käme. Und einen Schneeschaufelpool gibt’s (noch) nicht. Für mich ganz ok. Genügend Vorräte. Genügend nette Menschen und Zwitschervögel, Steine, Bäume im und ums Haus. Genügend wohlig in mir drin. Zeit für Briefe und dafür, den Alltag so schön, kreativ und verbunden zu gestalten wie irgendwie möglich. Und in zwei Tagen steigen die Temperaturen ja schon wieder um 20 Grad, so dass der Schnee bald weg ist. Also lieber noch die Stille geniessen. Huh. Jetzt bin ich zu müde, mache mal eine Siesta. Erzähle ein anderes Mal vom Arten-Tandem-Projekt. Freue mich, von dir zu hören! (und auch von Dimitri. Irgendwie hast du angetönt, dass die Begegnung mit ihm wichtig ist für dich?!) A dopo, Flo Salute Faba

P.S. Mir ist grad noch in den Sinn gekommen: Du hast im letzten Brief diese Magical thinking Gruppe des Klimastreik erwähnt. Ist glaub schon ein Weilchen her, wo die aktiv waren. Hab den Brief grad nicht zur Hand. Aber irgendwas mit „naiv“ und alltagsuntauglich. Wenn du Lust hast gerne ausführen. Magische Denkweisen und andere Spekulatismen sind eines meiner lieben Forschungsgebiete.