Bibliotheksanekdoten.

2008

Meine ersten Schuljahre wohnte ich drei Häuser entfernt von Ostermundigens Bibliothek. Die Bücher, mit denen ich lesen lernte, waren nicht weit. Ziemlich bald habe ich den Gang zur Bibliothek alleine bestritten. Zeitenweise mehrmals die Woche. In der Bibliothek konnte ich mich eindecken mit Comics, Büchern und DVDs. Hatte ich eine Ladung verschlungen, lag die nächste bereit.

Zur Ludothek war der Spaziergang etwas länger. Der Transport der Fahrzeuge, Brettspiele, Musikinstrumente und Nintendos manchmal etwas umständlich. Später war ich dann primär für Spielrunden in der Ludothek. Die Räume waren nächtelang offen für alle Spielinteressierten. Es gab wohl keine andere Veranstaltung in Ostermundigen, die derart partei- und altersübergreifend besucht wurde.

Irgendwann wurden Bibliothek und Ludothek ins gleiche Gebäude verlegt. Zur Ausleihe stehen nun Romane, Sachbücher, Comics, Hörbücher, Filme und Zeitschriften in Deutsch, Französisch, Englisch, Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Albanisch, Arabisch, Kroatisch, Tamil und Türkisch. Vorhanden sind auch Brettspiele aller Art, Bewegungsspiele, Fahrzeuge, Playmobil, Duplo, Holzspielsachen, Musikinstrumente, Puzzles und Kasperlifiguren. Es gibt Arbeitsplätze und Leseecke, Kopierer und Scanner, Sitzungszimmer, freies Internet und Computer stehen zur Benützung bereit. Nebst Spielabenden werden Sprach-Cafés, Kinderlesungen und Lesezirkel angeboten. Die Räume dienen auch als Abstimmungslokal.

Die Bibliothek ist also eine öffentliche Institution, die Zugang zu öffentlichen Mitteln organisiert. Sie ist mehr als eine Sammlung von Büchern. Sie ist Service Public für Wissen, Spielzeug, Toiletten, warme Räume und Computer. Sie ist öffentlicher Raum für kulturelle Veranstaltungen und Lokaldemokratie. Dinge dürfen frei genutzt werden, solange sie nicht zerstört werden. Dank der Logik der Bibliothek kann ich vieles nutzen, ohne mich um vieles kümmern zu müssen.

2023

Heute kann ich an der Schule professionelle Kameras, Funkgeräte und Popcornmaschinen ausleihen. Computer, Küchen, Holz-, Kunststoff- und Metallwerkstätten stehen mir bei Bedarf offen. In 15 LeihBars kann ich Zelte, Weihnachtsbaumständer und Beamer ausleihen. Für den Transport hat Mobility schweizweit Fahrzeuge stationiert. Taucht irgendwo ein Defekt auf, ist die Chance gross, dass eines von über 200 Repair-Cafés die Reparatur schafft. Mit einem BibliOpass habe ich Zugang zu Büchern, Filmen und Artikeln aus über 500 Bibliotheken in der Schweiz. Oder ich traue mich ins Internet und lade mir eine Kopie des gewünschten Mediums herunter.

Zu meinem Zuhause zählen eine Industrieküche, ein Büro, eine Werkstadt Zimmer für Besuch und ein Garten mit Sauna – die wir gemeinschaftlich nutzen. Wenn ich ein Znacht zubereite, können sich 30 andere Personen den Aufwand sparen.

Die Bibliothek der Bücher ist der Shootingstar des Service Public. Kaum eine Institution ist derart positiv konnotiert, inklusiv und effizient in der bedarfsorientierten Allokation. Die Logik der Bibliothek funktioniert auch für Alltagsgegenstände aller Art. Sie kann Zugang zu geteiltem Luxus ermöglichen, der privatisiert kaum zu stemmen wäre.

2030

Ich verzichte künftig gerne auf das Recht, die Dinge, die ich gerade nutze, zerstören zu dürfen. Dafür kann ich einen Teppichreiniger dann nutzen, wenn ich ihn benötige. Und muss mich sonst nie drum kümmern.

Wir basteln an Institutionen, die ehemaligen Abfall restaurieren, bestehende Dinge unterhalten und künftige Gegenstände ressourcenschonend, langlebig und reparierbar konzipieren. Um den Verkauf oder die Entsorgung der Möbel meiner verstorbenen Grossmutter muss ich mich nicht kümmern – ich gebe sie einfach zurück in die Bibliothek. Wenn ich ein neues Zimmer beziehe, kann ich auch die Bilder an der Wand durch andere ersetzen. Wir sparen uns die Überproduktion von Gegenständen, die sowieso gleich wieder kaputt gehen. Stattdessen bauen wir Akkuschrauber, die lange funktionieren und repariert werden können.

Plagt mich der Hunger, habe ich Zugang zu Verpflegung – ohne mich an einer Kasse mit einem gefüllten Portemonnaie rechtfertigen zu müssen. Ich kann mich in zuverlässigen ÖV setzen, statt mich im zweitönnigen Gefährt durch eine Betonwüste kutschieren zu müssen. Parks, Bäder, Werkstätten und all die anderen öffentlichen Räume ermöglichen einen geteilten Luxus, den früher nur wenige kannten. Und weil diese geteilten Güter effizienter genutzt werden, als wenn wir sie privatisiert organisieren müssten, bleibt Zeit für anderes. Wir können uns der Sorgearbeit widmen, uns in nischigen Spezialisierungen vertiefen und auch einfach einen Nachmittag in einer der Bibliotheken verbringen. Künstler*innen können sich ganz entspannt mit uns gegen die Kriminalisierung einer globalen digitalen Bibliothek wehren. Der nie dagewesene Zugang zu Musik und Texten, dient als Inspiration, die ihre Kunst anregt.

Markt und Privateigentum sind dort, wo sie noch vorkommen, fast so überraschend deplatziert, wie es noch 2023 die Existenz von guten Bibliotheken war.

Privateigentum und Markt sind zentrale Institutionen sogenannter Industriegesellschaften. Ökologische Zerstörung und brutale Ungleichheit sind Folgen. Lösungen für die ökologische Krise und die soziale Krise der Ungleichheit sind beide in der Logik der Bibliothek angelegt. Lasset die Spiele beginnen ...